Leider beobachten wir vermehrt, dass sich Anleger an die Gerichte wenden und ihren Vermögensverwalter verklagen. Das ist im Rahmen der Coronapandemie passiert, aber auch wegen Wirecard, deswegen erlaube ich mir eine erste Zwischenbilanz.
Kürzlich hat das Landgericht München die Klage eines Anlegers wegen Einbeziehung von Wirecard-Anleihen in die Vermögensverwaltung abgewiesen. Der Anleger hatte argumentiert, Wirecard-Anleihen hätten nicht für das Portfolio erworben würden dürfen. Anleihen der Wirecard AG seien für eine Vermögensverwaltung nicht geeignet gewesen. Das Unternehmen sei bereits damals Gegenstand von negativen Presseberichten gewesen, was sich wiederholt in Kursstürzen der Wirecard-Aktie ausgewirkt habe. Bei den von Wirecard emittierten Wertpapieren würde es sich um volatile Werte handeln. Die Financial Times habe bereits Manipulationsvorwürfe gegenüber Wirecard erhoben und die Anleihen seien unter pari notiert. Mit einem Absacken der Kurse sei daher zu rechnen gewesen. Durch negative Presseberichte seit 2008 hätten die Kursschwankungen der Wirecard-Aktie 30-70 % betragen. Ob die Berichte teilweise oder gar nicht der Wahrheit entsprochen hätten, sei für die Anlageentscheidung von untergeordneter Bedeutung, schon allein die Schwankung schließe die Anleihen für ein konservativ eingestuftes Portfolio aus.
Auch der Kurswert von Anleihen von nur 91 % des Nominalwerts spreche für eine deutlich überdurchschnittliche Volatilität. Unternehmensanleihen würden im Schnitt nur eine Volatilität von 1,6 % pro Jahr, bzw. 2,6 % auf 5 Jahre betragen. Würden daher Anleihen zu 91 % gekauft, müsse das den Vermögensverwalter bereits misstrauisch machen. Zudem hätten auch Wirecard-Anleihen mit einem Zins von 0,5 % das Risiko für die Investoren nicht ausreichend abgebildet.
Zudem sei auch erkennbar gewesen, dass die finanzielle Situation der Wirecard AG ungewiss sei, zumindest spätestens als sich die Berichte über Geldwäsche- und Betrugsvorwürfe verdichtet hätten und ein Prüfungsauftrag an die KPMG gegeben wurde (Oktober 2020). Ein vernünftiger Anleger hätte zu diesem Zeitpunkt der Wirecard AG kein Kapital mehr zur Verfügung gestellt und hätte zumindest das Ergebnis der Sonderprüfung durch KPMG abgewartet.
Die Kläger warfen dem Vermögensverwalter aber nicht nur auf den Kauf Wirecard-Papieren vor, sondern auch nicht rechtzeitig vorgenommene Verkäufe der Papiere. Spätestens mit den verschiedenen warnenden Ad-hoc-Mitteilungen der Wirecard AG, zumindest mit der auch in den Presse viel diskutierten vom 18.06.2022, in der Wirecard Unsicherheiten bezüglich der asiatischen 1,9 Milliarden eingeräumt hatte, hätten die Wirecard-Papiere verkauft werden müssen.
Diese Argumentation ist erfreulicherweise das Landgericht München entgegengetreten. Grundsätzlich habe der Vermögensverwalter ein Ermessen, dass nur durch die Anlagerichtlinien eingeschränkt sei. Ein Vermögensverwalter habe sich um eine optimale Umsetzung der durch die Anlagerichtlinien vorgegebenen Ziele zu bemühen und eine produktive Vermögensverwaltung zu betreiben.
Diese Grenzen des Ermessens seien aber durch den Kauf von Unternehmensanleihen der Wirecard AG nicht überschritten worden. Selbst trotz negativer Berichte in den Medien konnte das Risiko der Wirecard-Papiere als mäßig eingestuft werden. Dafür seien mehrerer Indizien anzuführen, nämlich
  • ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk der Wirtschaftsprüfer für die Geschäftsjahre bis 2018
  • eine Einstufung von Wirecard als Investment-Grade der Rating Agentur Moody's
  • das von der BaFin am 18. Februar 2019 verhängte Leerverkaufsverbot,
  • das Vorgehen der bayerischen Justiz in Bezug auf diejenigen, die Beschuldigungen gegenüber der Wirecard AG erhoben hätten (zur Erinnerung: Es kam sogar zu einer Verhaftung von zwei Vertretern der Anlegervereinigung „Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger“),
  • eingestellte Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche des Nachrichtendienstes Goldman Morgenstern & Partners,
  • Ermittlungen gegen Leerverkäufer in Großbritannien,
  • gegen Geldauflage eingestellte Strafverfahren vor dem Amtsgericht München gegen den britischen Leerverkäufer und Herausgeber der berühmten „Zatarra-Studie“ Fraser Perring,
  • Einstufung der Wirecard AG als Dax-Unternehmen,
  • Einstufung der Anleihen mit mittlerer Laufzeit.
Interessant ist auch die Aussage des Gerichtes, dass eine konservative Anlagerichtlinie nicht bedeute, die Volatilität der gekauften Finanzinstrumente müsse gering sein. In einem geringen Umfang dürften auch bei einer konservativen Anlagerichtlinie Anlagen mit mäßigem Risiko getätigt werden. Das damit etwas erhöhte Risiko sei mit einer höheren Volatilität verbunden, in geringem Umfang dürfte in Unternehmensanleihen mit höherer Volatilität investiert werden.
Ein Ermessenverstoß des Vermögensverwalters liege nur vor, wenn ein Verkauf die einzig sinnvolle Maßnahme dargestellt hätte, und das Ermessen des Vermögensverwalters zusammenschrumpft und er die Papiere zwingend zu verkaufen gehabt hätte. Stünden aber dem Vermögensverwalter nach einer anzustellenden Ex-ante-Betrachtung zwei oder mehrere sinnvolle Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung, erwachse dem Vermögensverwalter kein Verschuldungsvorwurf daraus, dass er den einen Weg wähle, selbst wenn sich diese Entscheidung später als falsch herausstelle.
Einen allgemeinen Rechtssatz, wonach der Vermögensverwalter bei einer bestimmten Kursentwicklung verpflichtet sei, einen Wert abzustoßen, gebe es nicht. Es könne durchaus sinnvoll sein, Verluste auszusitzen anstatt sie voreilig zu realisieren.
Solange im Ergebnis der Beobachtung des Portfolios, gemessen am Interesse des Vermögensinhabers, kein Änderungsbedarf bestehe, müsse nicht gehandelt werden. Selbst bei Eintritt von Verlusten im Portfolio indiziere ein abwartendes Agieren des Vermögensverwalters noch keine Pflichtverletzung.
Selbst im Fall Wirecard, in dem die Kurse der Unternehmensanleihen bereits um 40 % gesunken waren sei noch eine Unsicherheit bestanden, ob der tatsächliche Wert der Anleihe höher oder niedriger als ihr Kurs war. Die Entscheidung des Vermögensverwalters, zunächst noch abzuwarten und zu beobachten sei jedenfalls auch nach den Ad-hoc-Mitteilungen von Wirecard noch nicht Ermessensfehlerhaft und damit vertragswidrig im Sinne des Vermögensverwaltungsvertrages und seiner Anlagerichtlinien gewesen.
Leider ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig, aber schon mal ein ermunterndes Signal der Justiz an die Branche. Das Ermessen eines Vermögensverwalters wird nicht generell in Frage gestellt.
Mit diesem positiven Ausblick wünsche ich einen guten Start in das Jahr 2024.
Wir halten Sie gerne über die Entwicklung auf dem Laufenden.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Dr. Christian Waigel
Rechtsanwalt