Seit Jahren quält sich die Finanzbranche mit der ESG-Regulierung. Seit einigen Jahren müssen die Kunden zu ihren Nachhaltigkeitspräferenzen im WpHG-Bogen befragt werden. Für nachhaltige Produkte gelten strenge Reportinganforderungen, sowohl Ex Ante als auch Ex Post. Die Finanzindustrie soll als „First Mover“ die Kunden zu ihren ESG-Wünschen befragen und ihnen dann darauf zugeschnittene Anlagelösungen anbieten. Mit Chuzpe und ohne weitere Begründung behaupteten Vertreter aus dem Finanzministerium, es sei Allgemeingut, dass sich nachhaltige Investments besser entwickeln würden als konventionelle und verbaten sich damit jede Kritik an dem Mammutregulierungsvorhaben. Inzwischen wird klar, dass selten ein Regulierungsvorhaben so schlecht vorbereitet war und so miserabel umgesetzt wurde, wie Sustainable Finance. Von Anfang an krankte das Vorhaben vor allem an mangelnden Daten. Die Finanzwirtschaft sollte ohne Daten und ohne gesicherte Grundlage Kundenwünsche befriedigen, die durch die MiFID-Vorgaben unverständlich formuliert waren und nicht mit substanziellen Daten unterlegt werden konnten.
Dem soll nun die Corporate Sustainability Reporting Directive, kurz CSRD, ein Ende machen. Sie soll die Realindustrie verpflichten, die notwendigen ESG-Daten zu liefern, damit auch die Finanzindustrie entsprechende Produkte generieren kann. Die CSRD ist eigentlich schon Anfang 2023 in Kraft getreten. Lange Zeit fehlten aber die Delegierte Rechtsakte und damit die Details zur Umsetzung. Diese kamen dann Mitte des letzten Jahres und sollen seit Anfang 2024 angewendet werden. Das Echo aus der Wirtschaft ist wie zu erwarten verheerend. Die Unternehmen beklagen die damit verbundenen Bürokratiekosten. Das Justizministerium erwartet für die Wirtschaft laufende jährliche Belastungen in der Höhe von ca. 1,6 Milliarden Euro. Den Einführungsaufwand schätzt das Justizministerium auf 846 Millionen Euro.
Die jährlichen Kosten für die Erstellung der Berichte durch die Unternehmen schätzt das Justizministerium auf ca. 590 Millionen Euro im Jahr. Der Löwenanteil der Kosten ist aber der Prüfaufwand für Wirtschafts-prüfungsgesellschaften, den das Justizministerium auf 983 Millionen Euro pro Jahr laufend veranschlagt. Die Schätzungen dürften kaum realistisch sein und deutlich höher liegen. Um nämlich der Finanzindustrie eine Einschätzung zu erlauben, ob ein Unternehmen entsprechend der Taxonomieverordnung produziert, muss das Unternehmen berichten, ob es die mehreren tausend Seiten Delegierter Verordnung zur Taxonomieverordnung erfüllt. Das dürfte mit normalen Bordmitteln nicht möglich sein. Jedes größere Unternehmen muss dazu entweder externe Fachkräfte heranziehen oder eben selbst Umweltingenieure einstellen.
Die Zahl der quantitativ und qualitativ zu berichtenden Datenpunkte wurde schon von über 2.000 auf etwa auf 1.144 reduziert. Das umfasst Daten, wie z. B. die Erfüllung der Taxonomieverordnung und ihrer Quoten in der realen Produktion bis hin zu den sogenannten PAIs, den Principal Adverse Impacts on Sustainability, die darüber Auskunft geben, ob ein Produktionsprozess die Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt. Diese Daten werden benötigt, um feststellen zu können, welche Taxonomiequoten letztendlich in einem Finanzprodukt erreicht werden können oder ob ein Finanzprodukt wenigstens die wichtigsten verpflichtenden PAIs berücksichtigen kann. Auch den Regulatoren ist aufgefallen, mit welchem riesigen Aufwand das für die Unternehmen der Realindustrie verbunden ist. Deswegen wurde eine Übergangsphase geschaffen, und zwar für die ersten drei Jahre der Anwendung der CSRD.
Nichtsdestotrotz laufen die Unternehmen im Moment gegen die Regulierung sturm. Vor allem die Familienunternehmen, also der Mittelstand, machen mobil.
Nicht zu beneiden sind auch die Wirtschaftsprüfer, welche die entsprechenden Berichte der Unternehmen testieren sollen. Sie müssen nicht nur die CSRD sondern auch 12 Detailstandards zu den ESG-Themen beherrschen und prüfen. Sie enthalten Prüfungsanforderungen aus den Bereichen Umwelt, Soziales und guter Unternehmensführung. Dabei müssen die Prüfer feststellen, ob ein Nachhaltigkeitsaspekt finanziell wesentlich wird, d. h. ob er sich kurz-, mittel- oder langfristig auf Cashflow, Wachstum, Erfolg, Kapitalkosten oder den Zugang zu Finanzmitteln auswirkt. Das gibt sicher spannende Diskussionen zwischen den Prüfern und den Unternehmen. Da die Wirtschaftsprüfer vor einer Herkulesaufgabe stehen, erwartet man von ihnen zunächst nur eine „Limited Assurance“. Es soll lediglich ausgeschlossen werden, dass die Angaben und Kennzahlen der Unternehmen nicht in allen wesentlichen Belangen in Übereinstimmung mit den Regularien erstellt wurden. Erst viel später wird eine „positive Assurance“ erwartet. Das heißt eine Feststellung, dass die Angaben der Unternehmen in allen wesentlichen Belangen in Überstimmung mit den Regularien erstellt wurden.
Anders gesprochen: Für die Finanzindustrie bleibt es weiterhin unmöglich, verlässliche Aussagen zu dem ESG-Gehalt ihrer Produkte zu machen. Wieviel Taxonomie, PAIs oder allgemeine Nachhaltigkeit ein Finanzinstrument verbrieft, kann daher auch in den kommenden Jahren niemand verlässlich vorhersagen. Konsequent wäre es daher, die Finanzindustrie von den ESG-Pflichten auszunehmen, bis verlässliche Datenbanken aus der Realindustrie erstellt sind. Die Regulierung geht aber einen anderen Weg. Nicht nur der Anlage- und Wertpapierbereich, sondern auch das ganz normale Kreditgeschäft wird immer stärker in die ESG-Regelung einbezogen. Kreditfinanzierenden Banken werden neue ökologische Quoten vorgegeben, z. B. eine Green Asset Ratio (GAR) oder die Banking Book Taxonomy Alignment Ratio (BTAR). Dadurch soll die Quote der grünen Kreditfinanzierungen im Kreditbuch erhöht werden.
Wenigstens macht Justizminister Buschmann aus seiner Skepsis keinen Hehl, er sieht die Belastungen realistisch, verweist aber darauf, dass Deutschland beschlossenen EU-Richtlinien umsetzten müsse. Uns bleibt nur die Hoffnung auf die zukünftige EU-Kommission und das die paar kritischen Stimmen gehört werden. Allzu optimistisch wäre ich aber nicht. Im Moment konzentriert sich die politische Diskussion auf das Verbrenner-Verbot und mir scheint es, als ob die Automobilindustrie ihre Interessen immer noch effizienter durchsetzt als die Finanzbranche.
Deswegen bleibt mir nur, Sie wenigstens über die Neuerungen auf dem Laufenden zu halten.
Mit besten Grüßen
Ihr Dr. Christian Waigel
Rechtsanwalt