Mit großer Spannung wartet die Branche auf die von der EU angekündigte Kleinanlegerstrategie, die wesentliche Änderungen an der Richtlinie MiFID II und der Versicherungsvermittlerrichtlinie bringen soll. In der Diskussion der letzten Wochen und Monate und war vor allem das Thema Provisionsverbot herausragend. Die zuständige Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness hatte mehrfach anklingen lassen, dass sie sich ein Provisionsverbot vorstellen könne. Finanzberater, die auf Provisionsbasis arbeiteten, würden ihren Klienten in der Regel nicht die günstigsten Produkte, sondern möglicherweise jene empfehlen, für die am meisten Provisionen bezahlt werden. Die Kommissarin hatte immer wieder geäußert, dass sie ein großer Freund der Honorarberatung sei und es lieber sähe, wenn die Anlageberatung gegenüber Privatanlegern durch fixe Honorare finanziert würde.
Nunmehr kam die Kehrtwendung. Ende April sagte die Kommissarin auf einer Konferenz in Stockholm, die Gesetzesvorschläge zur Förderung der Investitionen von Kleinanlegern (Kleinanlegerstrategie) werde kein vollständiges Provisionsverbot enthalten. Die Begründung ist, ein solches vollständiges Verbot könnte zu disruptiv sein. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als der große Widerstand der Branche gegen ein vollständiges Provisionsverbot. Dieser Widerstand kam aus vielen Mitgliedstaaten, nicht nur aus Deutschland. In Deutschland war die Sorge groß, mit einem vollständigen Provisionsverbot würde eine qualifizierte Anlageberatung für breite Bevölkerungsschichten ihr Ende finden, weil Privatanleger in der Regel keine fixen Honorare oder Stundensätze für eine Anlageberatung aufbringen wollen. In der Tat lehrt die deutsche Erfahrung, dass sich die Anzahl der Honorarberater in sehr engen Grenzen hält und die auf der Honorarberatung fußenden Geschäftsmodelle eher ein Schattendasein führen.
Damit ist das Thema aber noch nicht ganz vom Tisch. Die Kommissarin hat angedeutet, dass die Regelungen für die Provisionen verschärft werden sollen. Deswegen wolle die Kommission zusätzliche Transparenzerfordernisse einführen. Das läuft wahrscheinlich darauf hinaus, dass die ex-ante Kostentransparenz noch einmal erweitert wird. Die Kommissarin hat angedeutet, Kleinanlegern solle es erleichtert werden, Finanzinstrumente zu vergleichen. Zu befürchten ist daher, dass in der Anlageberatung zusätzliche Pflichten eingeführt werden, z.B. ein umfassendes Marktscreening vorzunehmen, um für den Kunden gleichwertige, aber günstige Finanzprodukte zu ermitteln. Das bedroht Geschäftsmodelle, in denen Berater lediglich gruppeneigene oder hauseigene Produkte vermitteln. In der MiFID II könnte die Verpflichtung zum Äquivalenz-Test dahingehend erweitert werden, dass zukünftig den Beratungskunden auch mitgeteilt werden muss, wie kostenintensiv die Beratungsempfehlung im Branchendurchschnitt ausfällt und der Kunde auf kostengünstigere Vergleichsprodukte der Konkurrenz aufmerksam gemacht werden muss. Das würde aber eine deutliche Erschwernis, vor allem für kleinere Institute bedeuten, weil diese ein umfassenderes Screening von Vergleichsprodukten vornehmen müssten. Angeblich sollen Berater die Kosten von unterschiedlichen Angeboten genauer aufschlüsseln, um den Verbrauchern einen Vergleich zu erleichtern.
Zusätzlich sollen die Bedingungen, unter denen Provisionen gegenwärtig zulässig sind, verschärft werden. Wir erinnern uns: Die MiFID II lässt Provisionen nur unter der Voraussetzung zu, dass sie dem Kunden offengelegt werden und sie eine Qualitätsverbesserung für den Kunden bezwecken. Dazu stellt die MiFID II selbst drei Regelbeispiele zur Verfügung. Deutschland hatte in einem Alleingang ein viertes Regelbeispiel geschaffen, nämlich die Rechtfertigung von Provisionen durch ein flächendeckendes Filial-/Beraternetzwerk. Zudem war die aufsichtliche Anforderung in den Hintergrund getreten, wonach Provisionen individuell am Kunden spürbar zu einer Qualitätsverbesserung beitragen müssten. Würden diese Erleichterungen gestrichen, könnte das erhebliche Schwierigkeiten nach sich ziehen. Zum Beispiel können Sparkassen jetzt einfach auf ihr Filialnetz verweisen und die zu dessen Finanzierung notwendigen Provisionen auf diesen Rechtfertigungsgrund stützen. Kehrt die Kommission oder die ESMA zu ihrer ursprünglichen Haltung zurück, eine spürbare Qualitätsverbesserung pro Kunde erreichen zu müssen, müssten neue und innovative Tools für den Kunden entwickelt werden, um Provisionen zu rechtfertigen.
Das Thema ist daher nicht vom Tisch, es bleibt spannend.
Die Veröffentlichung der Kleinanlegerstrategie ist für die zweite Maihälfte angekündigt. Selbstverständlich halte ich Sie auf dem Laufenden.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Dr. Christian Waigel
Rechtsanwalt