Nun wird es langsam ernst. Ich darf Sie lästiger Weise noch einmal erinnern, dass ab dem 2. August von den Kunden deren Nachhaltigkeitspräferenzen abgefragt werden müssen. Auf Basis dieser Nachhaltigkeitspräferenzen müssen dem Kunden dann geeignete nachhaltige Produkte empfohlen oder in der Vermögensverwaltung gekauft werden, wenn der Kunde entsprechende Nachhaltigkeitspräferenzen geäußert hat. Einen Vorschlag haben wir Ihnen im Orgahandbuch bereits übermittelt.
Leider bleibt es bei den praktischen Schwierigkeiten für die Umsetzung. Produkte, welche der höchsten Nachhaltigkeitsstute, nämlich der sogenannten Taxonomie, entsprechen, wird es allerhöchstens vereinzelt geben. Bitte seien Sie kritisch! Sie können nicht darauf vertrauen, dass ein als Art. 9 bezeichnetes Finanzprodukt der Taxonomie entspricht. Sie müssen durch die Produkte durchsehen und sich eine eigene Meinung bilden. Man muss davon ausgehen, dass z.B. Titel des DAX oder des MSCI World nur zu unter 10 % Taxonomie-compliant sind. Bitte machen Sie die Kunden darauf aufmerksam, dass die Nachhaltigkeitspräferenzen eins, nämlich Taxonomie, im Moment nicht darstellbar ist, weil die Detailvorschriften noch fehlen und sich damit auch die Realindustrie nicht an diese Vorgabe halten kann.
Bei der ESG-Regulierung wackelt leider der Schwanz mit dem Hund. Während Anlageberater, Vermögensverwalter und Asset Manager letztes Jahr schon mit der Offenlegung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie und heuer mit der Kundenabfrage zu ESG starten müssen, werden die Unternehmen der Realindustrie noch nicht verpflichtet, die Daten zu liefern. Eine EU-Richtlinie, die ca. 50.000 Unternehmen in der EU verpflichten soll, ESG-Daten zu liefern, kommt über das Entwurfsstadium nicht hinaus und stößt auf breiten politischen Widerstand der Unternehmen. Vor kurzem hat der Verband der Familienunternehmen in Deutschland ein verfassungsrechtliches Gutachten vorgelegt, dass die Regulierung und die Vorgaben in Zweifel zieht. Die Umsetzung wird daher noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Für die Institute ist es daher mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, ihre Strategie im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken zu veröffentlichen, Reportings für Nachhaltigkeitsprodukte erstellen und den Kunden geeignete Produkte entsprechend ihrer Nachhaltigkeitspräferenzen zur Verfügung stellen.
Das Thema Nachhaltigkeit wird politisch getrieben, jeder politische Akteur legt noch eine Anforderung drauf und dagegen ist natürlich niemand. Damit hat die Bürokratie freie Bahn. Der Kunde soll ab August 2022 gefragt werden, ob er nachhaltige Produkte im Sinne der EU-Taxonomieverordnung im Depot haben will. Was aber der Taxonomie entspricht, wissen die Regulierer noch nicht. Gerade ist im Wirtschafts- und Währungsausschuss des europäischen Parlaments der Vorschlag der EU-Kommission für Detailvorschriften zur Taxonomie krachend gescheitert, weil viele Abgeordnete sich weigern, Atom- und Gasindustrie als nachhaltig einzustufen. Damit droht der Taxonomie das gleiche Schicksal wie der Offenlegungsverordnung. Sie verpflichtete die Institute bereits im letzten Jahr, ihre Strategie im Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken zu veröffentlichen. Da man sich politisch aber nicht auf die Detailvorschriften einigen konnte, haben viele Unternehmen die Opt-out Möglichkeit gezogen und wegen der bestehenden regulatorischen Unsicherheit auf ihrer Homepage veröffentlicht, die EU-Kriterien nicht anzuwenden.
Diesem ersten Rohrkrepierer folgt nun mit der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen des Kunden das zweite Desaster. Die Kunden sollen äußern, ob und in welchem Umfang sie Nachhaltigkeitsprodukte wünschen, die es noch gar nicht gibt. Wegen der fehlenden Detailvorschriften und wegen der fehlenden Verpflichtung der Realindustrie zur Lieferung von Daten ist es für die Finanzindustrie unmöglich, rechtssicher entsprechende Produkte zu konzipieren. Das führt zu einer zunehmenden Frustration. Die Kritiker bringen sich durch die unausgegorene Regulierung EU-kritisch in Stellung, die wohlmeinenden fühlen sich durch die Einstufung von Atom- und Gaswirtschaft als ökologisch diskreditiert.
Das entstehende Durcheinander wird dadurch kompletiert, dass möglicherweise Vermittler mit einer Zulassung nach § 34f GewO von der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen befreit werden sollen. Die Begründung dafür ist schlicht nicht mehr nachvollziehbar. Angeblich sei der Verweis der Finanzanlagenvermittlungsverordnung auf die Detailvorschriften zu MiFID II kein dynamischer Verweis und damit verweise er lediglich auf die alten Vorgaben der MiFID II, nicht aber auf die geänderten. Das gleiche Argument würde aber für die lizenzierten Institute gelten, im Wertpapierhandelsgesetz findet sich nämlich der gleiche Verweis wie in der Finanzanlagenvermittlungsverordnung. Wenn mit diesem juristisch wenig überzeugenden Argument nun das von einem grünen Minister geführte Wirtschaftsministerium die § 34f-Finanzanlagenvermittler befreit, das FDP geführte Finanzministerium aber über die Bafin auf die pünktliche Umsetzung durch die Institute beharrt, kann man es niemandem verübeln, wenn er die Welt nicht mehr versteht.
Die Politik sollte schnell reagieren, noch ist es nicht zu spät, den schlingenden Regulierungszug noch auf die Schiene zu setzen.
Ihr
Dr. Christian Waigel
Rechtsanwalt