Ein Hauptanliegen der MiFID II ist das Thema Best Execution. Auch Privatkunden sollen in den Genuss günstiger Abwicklungskonditionen kommen und nicht durch intransparente Strukturen abgezockt werden. Sie alle kennen die Best Execution-Verpflichtungen und die lästige Aufgabe der Erstellung von Policies, um für die Kunden günstige Transaktionsbedingungen erhalten zu können.
Mit einer Änderung der MiFIR-Verordnung will die EU-Kommission nun auch das Thema der Datenkosten angehen. In allen Bereichen sind Börsenakteure und Händler darauf angewiesen, von privaten Anbietern zu hohen Kosten Daten zu beziehen. Das gilt in Spezialbereichen wie der Nachhaltigkeit, weil im Moment nur professionelle Anbieter wie z. B. Sustainalytics oder Moodys in der Lage sind, Nachhaltigkeitsdaten zu aggregieren und anzubieten. Das gilt aber auch für ganz normale Standarddaten, z.B. den Handelspreisen von Aktien, die professionelle Händler von Anbietern wie Refinitiv oder Bloomberg beziehen müssen. Wer nah an Echtzeitdaten liegen will, hat keine andere Möglichkeit, als die Daten von diesen Datenmonopolisten, bzw. einem Datenoligopol, für teures Geld zu beziehen.
Der Privatanleger steht noch viel schlechter da. Ihm bleiben eigentlich nur Online-Broker, deren Preise auf der Homepage mindestens 15 Minuten alt sind und die ihm in der Regel nur 4 bis 6 Börsenplätze anbieten. Tatsächlich existieren in Europa aber 50 bis 60 Börsenplätze. Der normale Privatanleger ist aber technisch überhaupt nicht in der Lage zu entscheiden, ob er die Nestle lieber in Zürich oder Genf kauft, weil ihm schon der Zugang zu den Daten fehlt, geschweige denn zu den entsprechenden Börsenplätzen. In Echtzeit ist ein Privatkunde eigentlich nicht in der Lage, die Preise der europäischen Handelsplätze zu vergleichen und dann seine Order gezielt an den günstigsten Handelsplatz zu geben.
Professionelle Kapitalanleger, wie Kapitalverwaltungsgesellschaften, kritisieren das schon lange, sind aber auf die Datenlieferungen von Bloomberg oder Refinitiv angewiesen, weil nur diese auf Sekundenbasis Handelsdaten für Aktien und andere Wertpapiere liefern können.
Etwas neidisch sehen daher vor allem die professionellen Handelsteilnehmer auf die USA. Dort existiert bereits seit über 40 Jahren ein sogenanntes Consolidated Tape. Dieser „Börsenticker“ liefert Handelsdaten unterhalb des Sekundentakts und versetzt Marktteilnehmer in die Lage, Handelsdaten unterschiedlichster Börsenplätze zu vergleichen.
Eigentlich sah schon die alte MiFIR aus 2018 einen Rechtsrahmen für die Anbieter von solchen konsolidierten Datentickern (Consolidated Tape Provider, CTP) vor. Sie sollten Daten für Aktien, Anleihen und Derivaten liefern. Das Interesse war aber bis jetzt gering. Bis heute fand sich kein Anbieter, der ein solches europäisches Datentape bereitstellen wollte. Im Wesentlichen gibt es dafür drei Hindernisse. Zum einen ist nicht klar, wie der Anbieter die Daten bei den verschiedenen Ausführungsplätzen beschaffen soll. Das zweite Problem ist die Datenqualität, die einigermaßen verlässlich sein sollte, und letztlich gibt es überhaupt keinen Anreiz, ein solches Datentape zur Verfügung zu stellen. Zudem wehren sich auch die Börsen dagegen und fürchten den Verlust eines einträglichen Geschäftsfelds. Für die Bereitstellung ihrer Daten verlangen die Börsen nämlich Entgelte von den jetzigen Datenprovidern und fürchten, dass ihnen diese Einnahmequelle durch ein konsolidiertes Tape verloren geht. Sie halten die Bereitstellung konsolidierter Daten nach Handelsschluss, z.B. ab 18.00 Uhr, für vollkommen ausreichend.
Durch einen neue Verordnung zur Ergänzung der MiFIR hat die EU-Kommission reagiert. Sie will über die ESMA als zuständige Behörde einen Bereitsteller eines konsolidierten Datentickets für Aktien, börsengehandelte Fonds und Anleihen finden. Die jetzige Anforderung Handelsplätze, 15 Minuten nach Orderabwicklung die Handelsdaten zur Verfügung zu stellen, sei unbefriedigend. Die 15 Minuten Veröffentlichungspflicht soll zwar bestehen bleiben, der Anbieter des Datentickets soll seine Daten aber schon früher veröffentlichen und den Kunden bereitstellen dürfen.
Damit das europäische Consolidated Tape funktioniert, werden Handelsplätze verpflichtet, die Transaktionsdaten für Aktien, börsengehandelte Fonds, Schuldverschreibungen, die an einem Handelsplatz gehandelt werden, OTC-Derivate dem Anbieter des konsolidierten Tapes zur Verfügung zu stellen. Durch die ESMA werden technische Standards, Schnittstellen und die Datenqualität festgelegt, die an den Betreiber des konsolidierten Tapes übermittelt werden müssen.
Finanziert werden soll das Consolidated Tape indem von den Nutzern Gebühren erhoben werden und gleichzeitig aber Privatkunden, Wissenschaftlern und Behörden kostenloser Zugang zum Datentape gewährt werden muss.
Interessanterweise wird in der Verordnung auch gleich noch das Thema „Payment for Orderflow“ geregelt. Institute dürfen für die Ausführung von Kundenaufträgen an einen bestimmten Ausführungsplatz keine Gebühren oder Provisionen mehr entgegennehmen. Die Rückvergütung für die Weiterleitung von Wertpapieraufträgen an einen bestimmten Ausführungsplatz sind damit verboten. Erlaubt sind nur noch Rabatte oder Preisnachlässe, wenn sie ausschließlich dem Kunden zugutekommen und dem Institut keinen monetären Vorteil verschafft. Das ist natürlich eine bittere Pille für die Neo-Broker, die sich mit diesem Geschäftsmodell einen Namen gemacht haben.
Interessant wird vor allem, ob diese Neuerung auch für bestimmte Indizes relevant werden wird. Mit einem Consolidated Tape sieht jeder Kunde am Abend den gesamten Kapitalmarkt. In den Nachrichten können dann beliebig Daten über die Entwicklung der Kapitalmärkte gezeigt werden. Ein Abstellen auf den Dax oder MSCI-World ist eigentlich nicht mehr notwendig. Vielleicht verlieren daher diese Indizes an medialer Bedeutung.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Dr. Christian Waigel
Rechtsanwalt