Erfreulicherweise gibt es noch Richter, die sich an ihre Grundrechtsvorlesungen erinnern können. Durch Urteil vom Ende letzten Jahres hat der Europäische Gerichtshof den Geldwäscheverfolgungsexzessen Grenzen gesetzt. Soweit der gesamten Öffentlichkeit Zugang zum Transparenzregister und damit zu den Daten über die wirtschaftlich Berechtigten von juristischen Personen eingeräumt wird, ist die fünfte Geldwäscherichtlinie unwirksam.
Seit 2017 gibt es in Deutschland und allen anderen Staaten der EU die berühmten Transparenzregister. Zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung müssen in die Transparenzregister die wirtschaftlich Berechtigten sowie die Eigentums- und Kontrollstrukturen von juristischen Personen und Rechtsgestaltungen transparent gemacht werden. Wirtschaftlich Berechtigte müssen mit Vor- und Nachname, Geburtsdatum, Wohnort, Wohnsitzland, Art und Umfang des wirtschaftlichen Interesses und der Staatsangehörigkeit in das Transparenzregister eingetragen werden. Bis zur vierten Geldwäscherichtlinie bestanden noch Beschränkungen für den Zugang zu diesen Daten. Diese sind mit der fünften Geldwäscherichtlinie gefallen. Seither hat die gesamte Öffentlichkeit Zugang zu den Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer aller Rechtsgestaltungen.
Begründet wird dies mit einer Notwendigkeit zur Erhöhung der Transparenz wirtschaftlicher und rechtlicher Gestaltungen. Der Zugang der Öffentlichkeit zu Angaben über wirtschaftliche Eigentümer diene einer größeren Kontrolle der Informationen durch die Zivilgesellschaft. Dadurch würde die Bekämpfung des Missbrauchs von Gesellschaften verstärkt. Das Vertrauen der Anleger und einer breiten Öffentlichkeit in die Finanzmärkte hänge von einer präzisen Offenlegung ab.
Hier lassen die Panama Papers grüßen. Vor dem Hintergrund deren Veröffentlichung fühlte sich der Gesetzgeber offensichtlich ermutigt, die breite Öffentlichkeit im Kampf gegen die Geldwäsche zu mobilisieren und ihr zu diesem Zweck den Zugang zu den Informationen über alle wirtschaftlich Berechtigten einzuräumen.
Nur in außergewöhnlichen Einzelfällen im Falle eines unverhältnismäßigen Risikos von Betrug, Entführung, Erpressung, Schutzgelderpressung, Schikane, Gewalt oder Einschüchterung, bei Minderjährigen oder Geschäftsunfähigen kann ein Antrag auf Anonymisierung der Daten gestellt werden. Dieser kleine letzte Lendenschurz für das allgemeine Persönlichkeitsrecht und dem Recht an den eigenen Daten ist nun dem Europäischen Gerichtshof zu wenig.
Mit den Informationen könne ein umfassendes Profil mit persönlichen Identifizierungsdaten, der Vermögenslage, den Wirtschaftssektoren, Ländern und spezifischen Unternehmen, in die ein wirtschaftlich Berechtigter investiert sei, erstellt werden. Diese Daten könnten auch im Internet abgerufen werden. Verschärft werde die Bedrohung für das allgemeine Persönlichkeitsrecht noch dadurch, dass die Daten auf Vorrat gespeichert und verarbeitet werden könnten und es illusorisch sei, dass sich ein Betroffener dagegen effizient zur Wehr setzen könne. Der Zugang der Öffentlichkeit zu den Daten der wirtschaftlich Berechtigten helfe nicht den öffentlichen Einrichtungen, die zur Strafverfolgung berufen seien. Ein allgemeiner Transparenzgrundsatz sei nicht geeignet, den Zugang der Öffentlichkeit zu allen Informationen über wirtschaftliche Eigentümer zu rechtfertigen. Die Behauptung einer abschreckenden Wirkung sei zu abstrakt und die Erforderlichkeit des Eingriffs in Grundrechte nicht belegt. Die Schwere des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht würde die Vorteile nicht kompensieren.
Zu Recht betont der Europäische Gerichtshof, dass nach Artikel 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Kommunikation und der Schutz personenbezogener Daten als europäische Menschenrechte geschützt sind. Dazu kommen auch noch die Regelungen der Datenschutzgrundverordnung zum Schutze personenbezogener Daten. Die Datenschutzgrundverordnung bestimmt, dass personenbezogenen Daten nur für eindeutige und legitime Zwecke erhoben und verarbeitet werden dürfen. Der Grundsatz der Datenminimierung und die Sicherheit der personenbezogenen Daten müssen gewährleistet sein. Wird aber der Öffentlichkeit Zugang zu zwangsweise erhobenen personenbezogenen Daten eingeräumt, bleibt davon nichts übrig.
Das Urteil ist nicht nur eine „Watschn“ für die EU-Kommission und den europäischen Gesetzgeber, sondern auch eine „Watschn“ mit Ansage. Der Europäische Datenschutzbeauftragte hatte schon 2017 Bedenken gegen die fünfte Geldwäscherichtlinie angemeldet, fehlende Verhältnismäßigkeit angeprangert und erhebliche und unnötige Risiken für das Recht von Personen auf Privatsphäre und Datenschutz aufgezeigt. Für den Europäischen Datenschutzbeauftragten war damals schon nicht ersichtlich, welchen Zweck die Öffentlichkeit von Informationen hinsichtlich Geldwäschebekämpfung haben soll. Seiner Meinung nach seien die Grundrechte auf Privatsphäre und Datenschutz gefährdet und die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt. Der Zugang zu den Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer solle den Stellen eingeräumt werden, die zur Durchsetzung des Rechts zuständig sind, das heißt den Strafverfolgungs- und Aufsichtsbehörden.
Auch die Notwendigkeit zur Beachtung der Grundrechte und der Verhältnismäßigkeit hatte der Europäische Gerichtshof schon durch Urteile aus dem Jahr 2014 im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung hingewiesen. Der Europäische Gerichtshof hatte zur Vorratsdatenspeicherung eine sehr kritische Haltung eingenommen und geäußert, zum Zwecke der Bekämpfung von Straftaten soll Zugang zu personenbezogenen Daten nur gewährt werden, wenn auch ein konkreter Verdacht für eine Verwicklung in eine schwere Straftat besteht, aber eben nicht auf Vorrat.
Im Vorfeld hatte bereits das französische Verfassungsgericht durch ein Urteil aus dem Jahr 2016 das zentrale Register für Trusts vorläufig außer Kraft gesetzt. Durch Urteil vom Oktober 2016 erklärte der französische Verfassungsgerichtshof die Einrichtung des öffentlich zugänglichen Registers für verfassungswidrig. Artikel 2 der Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1789 verankere die Freiheit und das Recht auf Respektierung des Privatlebens. Deswegen sei jede Sammlung, Erfassung, Speicherung und jeder Zugriff auf persönliche Datenkommunikation nur gerechtfertigt, wenn ein öffentliches Interesse vorliege. Ein öffentlicher Zugang zu einem Register mit Daten und Namen von Treugebern, Empfängern und Administratoren eines Trusts sei verfassungswidrig.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshof hat über den Fall hinaus Bedeutung:
Wir sollten uns überlegen, ob wir nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen. Seit letztem Jahr kann jede rechtswidrige Tat eine Vortat zur Geldwäsche sein, das heißt nicht nur schwere Kriminalität führt zum Geldwäschevorwurf, sondern jede Straftat, auch das Schwarzfahren oder der Kaugummidiebstahl. Bereits im Jahr 2021 mussten Institute ca. 300.000 Verdachtsmeldungen nach dem Geldwäschegesetz abgeben. Diese Zahl dürfte sich nochmals deutlich erhöhen. Das sind ca. 1200 Geldwäscheverdachtsanzeigen pro Arbeitstag. Die beim Zoll beheimate FIU ist bereits heute nicht mehr in der Lage, diese Anzeigenflut geordnet abzuarbeiten. Die liegengebliebenen und unbearbeiteten Geldwäscheverdachtsanzeigen im Falle Wirecard sprechen eine deutliche Sprache. Angestachelt durch Aufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfer produzieren Geldwäscheverantwortliche sinnlose Verdachtsanzeigen und verstopfen eine überlastete Strafverfolgungsbürokratie.
Wir müssen weg von dem Prinzip „Viel hilft viel“. Eine effiziente Strafverfolgung für Wirtschaftskriminalität muss andere Wege gehen.
Höchste Zeit, dass Verfassungsrichter uns diesen Spiegel vorhalten.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Dr. Christian Waigel
Rechtsanwalt