Anders als große Regulierungsvorhaben blieb die Änderung der Muster-Widerrufsbelehrungen weitestgehend unbemerkt. Am 15. Juni 2021 trat das Gesetz zur Anpassung des Finanzdienstleistungsrechts an die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Kraft.
Mit den neuen Regelungen reagiert der Gesetzgeber auf zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), in denen der Gerichtshof das deutsche Verbraucherdarlehensrecht für teilweise unionsrechtswidrig erklärte. Der EuGH traf Feststellungen zu den Anforderungen an die Klarheit und Prägnanz einer Widerrufsinformation und entschied, dass eine bloße Verweisung in den Vertragsbestimmungen auf nationale Vorgaben, welche die Rechte und Pflichten der Parteien festlegen (sog. „Kaskadenverweis“), nicht ausreiche, um einen Verbraucher in klarer und prägnanter Form über die Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts zu informieren.
Obwohl der Gerichtshof nicht unmittelbar zum Recht über Finanzdienstleistungen entschied, nahm der Gesetzgeber dies zum Anlass auch die Anforderungen an die Verbraucherinformationen, insbesondere die Muster-Widerrufsbelehrung bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen über Finanzdienstleistungen zu ändern (vgl. Art. 246b §§ 1, 2 i.V.m. Anlage 3 EGBGB).
Dies hat zur Folge, dass auch Institute, die ihre Verträge über Fernkommunikationsmittel (z.B. E-Mail, Brief etc.) abschließen, die neue Muster-Widerrufsbelehrung zu verwenden haben.
Bei der Umsetzung der Änderung ist besonders aufzupassen. Um sich im Streitfall auf die Muster-Widerrufsbelehrung berufen zu können, darf das Muster weder sprachlich noch optisch verändert werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss die von einem Unternehmer verwendete Widerrufsbelehrung sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig dem gesetzlichen Muster entsprechen. Eine Ausnahme besteht nur für die Textpassagen, die gemäß der Muster-Widerrufsbelehrung anpassungspflichtig sind.
Die Struktur der Widerrufsbelehrung bleibt im Wesentlichen erhalten. Das neue Muster unterteilt sich in drei Abschnitte:
  • In Abschnitt 1 wird der Kunde über sein Widerrufsrecht belehrt. Dieser Text ist wortwörtlich zu übernehmen.
  • Neu ist der Abschnitt 2. Dieser enthält eine vollständige Auflistung aller Informationen, die dem Kunden vor Vertragsschluss zur Verfügung zu stellen sind. Die Änderungen in der Darstellung sollen dem Kunden die Möglichkeit geben, zu prüfen, ob die Verbraucherinformationen ordnungsgemäß erteilt wurden und infolgedessen die Widerrufsfrist zu laufen begonnen hat. Die neue Gestaltung der Widerrufsinformation soll damit den Anforderungen des EuGHs gerecht werden und Kunden in klarer und prägnanter Form über die Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts informieren.

    Leider kann der Abschnitt 2 nicht „blind“ übernommen werden. Die neue Muster-Widerrufsbelehrung unterscheidet zwischen Pflichtinformationen und sog. Eventualinformationen. Die Eventualinformationen werden in der Muster-Widerrufsbelehrung durch Kursivdruck hervorgehoben.

    Die Pflichtinformationen sind stets in die Widerrufsbelehrung des Instituts zu übernehmen. Die Eventualinformationen hingegen dürfen nur aufgenommen werden, wenn sie im Einzelfall einschlägig sind, das heißt wenn das Institut den Kunden zu den einzelnen Punkten auch tatsächlich informiert hat. Eine Information ist auch dann vollständig aufzunehmen, wenn sie nur teilweise einschlägig ist, wenn das Institut den Kunden z.B. nur über zusätzliche Kosten, aber nicht über mögliche weitere Steuern informiert (vgl. Art. 246b § 1 Abs. 1 Nr. 7 EGBGB).
  • In Abschnitt 3 werden die Widerrufsfolgen dargelegt. Auch dieser Abschnitt ist entsprechend der Muster-Widerrufsbelehrung zu übernehmen. Die für den Vermögensverwaltungsvertrag wichtigste Information besteht darin, dass der Kunde Wertersatz zu leisten hat, wenn er der Ausführung der Vermögensverwaltung vor Ablauf der Widerrufsfrist zugestimmt hat.
Institute, die bisher nicht tätig geworden sind, sollten umgehend handeln. Die vom Gesetzgeber gewährte Umsetzungsfrist ist bereits verstrichen. Für Neukunden ist die Muster-Widerrufsbelehrung seit dem 1. Januar 2022 gesetzlich verpflichtend.
Kunden, die ihre Verträge mit den Instituten vor dem 1. Januar 2022 geschlossen haben, muss keine neue Widerrufsbelehrung übermittelt werden. Der bürokratische Aufwand hält sich damit in Grenzen. Bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist blieb es den Instituten weiterhin erlaubt, ihre Informationspflichten nach der alten Muster-Widerrufsbelehrung gemäß der alten Fassung der Anlage 3 EGBGB zu erfüllen. Die Unionsrechtswidrigkeit des Kaskadenverweises der bisherigen Muster-Widerrufsbelehrung führte insoweit grundsätzlich nicht dazu, dass die Verbraucherinformationen unrichtig waren, sofern das gesetzliche Formular unverändert verwendet wurde. Bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist griff weiterhin die sog. Gesetzlichkeitsfiktion das Art. 246b § 2 Abs. 3 EGBGB. Die Richtigkeit der Belehrung wurde unwiderleglich vermutet.
Mit den besten Grüßen
Ihr
Dr. Christian Waigel
Rechtsanwalt